Peter Dotterweich

Säll un Jenes

Geschichten, Anekdoten, Gedichte und Lieder aus dem Odenwald

 

Der Odenwald ist Deutschlands liebenswürdigstes Mittelgebirge. Noch immer ist der Odenwald ein wenig abgelegen, wenn auch nicht im geringsten unwirtlich. Burgen zieren seine Berge, Fachwerkhäuser schmücken die Dörfer – die großen Autobahnen führen am Odenwald vorbei. Lange Zeit war der Odenwald nur durch einen dünnen Schienenstrang mit der Welt verbunden. Die Menschen hier hatten ihre Eigenarten. Fast unbemerkt vom Weltgeschehen konnten sich hier die prächtigsten Typen entwickeln.


In „Säll un Jenes“ werden Geschichten, Anekdoten und Gedichte aus vergangenen Zeiten erzählt, in denen diese Eigenarten, gepaart mit dem oft hintergründigen Humor, der den Odenwäldern nachgesagt wird, beschrieben werden.
Fast jede Ortschaft hatte früher einen „Uznamen“ mit dem die Bewohner geärgert oder gar verspottet wurden. In alphabetischer Reihenfolge von A, wie Allertshofen, bis Z, wie Zeilhard, werden die „Ounome“, soweit sie dem Herausgeber bekannt waren, erläutert.


In „Säll un Jenes“ sind 28 traditionelle, zum Teil nur mündlich überlieferte Lieder sowie neuere Mundartlieder, alle mit Noten versehen, abgedruckt. Ein Buch nicht nur zum Lesen – sondern auch zum Singen.

 

 

Peter Dotterweich

Säll un Jenes

Geschichten, Anekdoten, Gedichte und Lieder
aus dem Odenwald

Format 13,5 x 20,5 cm, 156 Seiten, mit 32 alten sw Fotos, Hardcover

ISBN 978-3-9812976-3-8 12,50,- Euro

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Ein „öd und rauch Landt“


Der Odenwald ist Deutschlands liebenswürdigstes Mittelgebirge. Noch immer ist der Odenwald ein wenig abgelegen, wenn auch nicht im geringsten unwirtlich. Burgen zieren seine Berge, Fachwerkhäuser schmücken die Dörfer – die großen Autobahnen führen am Odenwald vorbei. Dieses Mittelgebirge, dessen höchste Erhebung, der Katzenbuckel, nicht über 626 m hinausgeht, das Main und Neckar, die Bergstraße und die Senke zwischen Darmstadt und Aschaffenburg begrenzen, war schon frühzeitig besiedelt. Von seinen fruchtbaren Rändern, auf deren sicheren Hängen die ersten Behausungen lagen, drang der Mensch allmählich in das waldreiche, schwer zugängliche Innere des Gebirges. Straßen führten über die Höhen, der Name „Hohe Straße“ der sich zwischen Reinheim und der Bergstraße, zwischen Momart und der „Lichten Platte“ findet, weist noch heute auf sie hin. Diese Straßen waren schon in vorgeschichtlicher Zeit Handelswege, auf denen auch Metalle, die im Odenwald nicht vorkamen, transportiert wurden. Der prachtvolle bronzezeitliche Hortfund von Groß-Bieberau, mit gravierten Armreifen, ist als Lager eines Händlers anzusehen, der um 900 v. Chr. seine Ware vorsorglich vergrub.
Keltische Siedler gaben Bergen und Flüssen ihre Namen, die sich, umgebildet, in den Bezeichnungen Weschnitz, Rodau und Gersprenz erhalten haben. In Urkunden des achten Jahrhunderts erscheinen sie als Wisgoz, Rohaha und Gaspantia. Ebenso führen Verbindungen mit dem Wort „Heune“ in die vorchristliche Zeit zurück. Als Hünen (Riesen) stellte man sich die Ureinwohner vor. Die Heuneburg auf der Altscheuer bei Lichtenberg stammt aus keltischer Zeit. Ein Ringwall, den im Süden ein zweiter Wall verstärkte, bot in Zeiten der Gefahr Schutz. Die geringen Funde, die unterhalb der Umwallung gemacht wurden, deuten darauf hin, daß die Höhe nicht dauernd besiedelt war. Die beherrschte und sicherte zugleich das Tal der Gersprenz, dessen seitliche Hügel schon früh bewohnt waren; die Talsohle hingegen machten Sümpfe unzugänglich. Zwei weitere Anlagen dieser Art gibt es noch im Odenwald: der Heiligenberg gegenüber Heidelberg und die Anlage auf dem Greinberg bei Miltenberg. Diese Ringburgen sind die letzten Zeugen jener Zeiten, in denen sich die Einheimischen gegen wandernde Völkerstämme wehrten. Die Kämpfe endeten für’s erste, als die Römer ihr Reich nach Osten ausdehnten und 90 n. Chr. durch den Limes sicherten.
Der römische Geschichtsschreiber Marcellinus, der als Offizier im Heer Kaiser Julians in den Garnisionen der Rhein-ebene war, und der den Odenwald zumindest von außen kannte, beschrieb ihn als einen Wald, „der durch seine dunkle Wildheit fürchterlich war.“ Auch für den Kosmographen Sebastian Münster, der von 1521 bis 1529 am Barfüßer-Kloster in Heidelberg lehrte, war der Odenwald ein „öd und rauch Landt“.
Erst mit Einhard, dem Geschichtsschreiber Karls des Großen, tauchen der „Odanowald“ bzw. „Odonowald“ und „Michilumstat“ (Michelstadt) aus dem Dunkel der Geschichte auf. Einhard erwähnt diese Namen in seinem Werk „Translatio“ das um 830 entstand und in dem geschildert wird, wie die Gebeine der Märtyrer Marcellinius und Petrus aus Rom nach Michelstadt überführt wurden. Die Gegend um Michelstadt war Einhard 815 von Ludwig dem Frommen, dem Sohn Karls des Großen, geschenkt worden. Mit etwa 60 Jahren zog sich Einhard aus der Politik zurück und widmete sich seinen geschenkten Ländereien im Odenwald. Die durch die Überführung der Märtyrergebeine erfolgte Aufwertung der Region dauerte allerdings nur kurze Zeit, da sich Einhard entschloss, die irdischen Reste der Heiligen nach der „Villa Mulinheim“, dem späteren Seligenstadt, seinem Alterssitz, bringen zu lassen. Nach seiner Odenwälder Zeit, Einhard lebte von 815 bis 828 in Steinbach, fiel die Michelstädter Gegend wieder in die politische Bedeutungslosigkeit zurück.
Einhard ging als eine historische Gestalt, die mit dem Odenwald zu tun hatte, in der Sage von Eginhard (= Einhard) und Emma in die Literaturgeschichte ein. Ihre älteste Form ist im bekannten Lorscher Codex festgehalten; der Eintrag stammt aus dem späten 12. Jahrhundert. Etwa in der gleichen Zeit, in welcher der Lorscher Chronist die Geschichte von Eginhard und Emma in Latein aufzeichnete, entstand das Versepos in Mittelhochdeutsch, das die Weltliteratur bereicherte und in dem – zumindest auf den ersten Blick – der Odenwald eine wesentliche Rolle spielt: das Nibelungenlied. Wer wird auch daran zweifeln, daß in dieser Dichtung, die wie die Einhardsbasilika in Steinbach zum europäischen Kulturerbe zählt, der Odenwald Schauplatz ist – schließlich gibt es eine „Siegfriedstraße“, die über Heppenheim nach Erbach, und eine „Nibelungenstraße“, die über Bensheim und Lindenfels nach Michelstadt und Miltenberg führt.
Mit Bligger von Steinach hatte der Odenwald auch einen Minnesänger vorzuweisen, der weit über die Grenzen des Odenwaldes hinaus bekannt war. Bligger II. von Steinach (1152–1209) gehörte einem freiherrlichen Geschlecht an, das von der Neckarsteinacher „Hinterburg“ stammte. Von ihm ist wenig bekannt und kaum etwas überliefert; gerade einmal zwei Minnelieder und eine Sangspruchstrophe. Aber er muß ein bedeutender Epiker gewesen sein, der bei seinen „Dichterkollegen“ hoch angesehen war, das geht aus dem „Tristan“, dem Literaturexkurs von Gottfried von Straßburg, also um 1210, hervor.
Der Odenwald war niemals eine politische Einheit. Es gab auch kein Herrschaftszentrum, das zu einem Mittelpunkt hätte werden können. Seit dem Mittelalter wechselten die territorialen Verhältnisse und oft waren es die politischen Mächte außerhalb des Odenwaldes, die seine Geschicke bestimmten. Nach der Zeit Einhards fiel die Mark Michelstadt an Lorsch. Im Neckartal und im südlichen Odenwald machte Worms seinen Einfluß geltend. Im 13. Jahrhundert erwarb Mainz Amorbach, Walldürn und Buchen. Die Schenken von Erbach wurden um 1300 in die Auseinandersetzungen zwischen der Pfalz und Mainz hineingezogen. Um 1500 fiel die Herrschaft Breuberg an die Grafen von Wertheim. Heidelberg und Mainz, das waren die Pole, die lange Zeit das politische Leben im Odenwald prägten.
Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte die bekannte Neuordnung, die weithin die Landkarte des Odenwaldes bis heute bestimmt. Die Grafschaft Erbach ging mit allen Hoheitsrechten an Hessen-Darmstadt. Die kurpfälzischen Ämter Otzberg und Lindenfels gingen ebenfalls an Hessen-Darmstadt. Amorbach wurde Zentrum des Fürstentums Leiningen. Buchen und Mosbach wurden badisch und die einst kurpfälzischen Gebiete im südlichen Odenwald und im „Kleinen Odenwald“ gingen auch an Baden. Vor dem Hintergrund dieser politischen Wechselspiele konnte sich keine „Odenwälder Identität“ entwickeln.
Es gab noch ein weiteres Hindernis. Die Verkehrsverhältnisse waren katastrophal. Eine Kommunikation zwischen den einzelnen Teilen des Odenwaldes war lange Zeit so gut wie unmöglich. Auch Anregungen von außen waren wegen dieser Unzulänglichkeiten eher selten.
So war man auch von den Entwicklungen außerhalb des Odenwald abgeschlossen. Eine Episode aus den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts mag dies illustrieren: Nachdem 1783 und 1784 die „Hessen-Darmstädtische privilegierte Land-Zeitung“ schon mehrfach über sensationelle Ballonaufstiege berichtet hatte – meldete im September 1784 der Korrespondent der „Landzeitung“ aus Groß-Umstadt mit folgenden Worten die Sichtung eines unbekannten Flugobjektes, das sich zum Odenwald hinbewegte: „Diesen Nachmittag um 5 Uhr gab es in dem Feld zwischen hier und Lengfeld auf einmal einen schrecklichen Lärmen, und einen Zusammenlauf einer Menge eben in selbigem sich befundener Leute. – Ein groser Körper kame in der Luft geflogen, manche hielten es vor ein Zeichen vom Himmel, andere vor den Drachen, und erwarteten ängstlich dessen Ankunft: endlich leise liesse sich solcher an der an dem Weg von hier nach Otzberg befindlichen zweiten Höhle nieder – und siehe, es war ein Luftball: nun stürmte alles zu, besonders eine Menge demselben von Lengfeld her nachgefolgter Leute, und da ein jedes von diesem vom Himmel gekommenen Zeichen ein Stückgen haben wollte, so war man nicht im Stande solchen zu retten, und in einem Augenblick war er verrissen, sogar von dem in selbigem befindlich gewesenen Brief wollten viele Stückger haben – durch diesen erfuhr man, daß dieser Luftball um halb 5 Uhr in dem Freiherrlich von Groschlagischen Garten bei Dieburg in die Luft gelassen war, und also diesen Weg wo eben der Wald herkame, und der 2 volle Stunde Wegs beträgt nicht gar in einer halben Stunde gemacht hatte, welches auch ein gleich zu Pferd hernach gejagt kommener Bediente, noch weiter bestätigte.“
Aufgrund der schlechten Verkehrsverhältnisse rieten nicht wenige Reiseschriftsteller, sich im Odenwald auf Fahrten in der Kutsche erst gar nicht einzulassen. Ein Frankfurter, der 1821 mit der Kutsche von Reichelsheim nach Erbach fuhr, beschrieb das so: „Was soll oder kann ich Neues über die Reisestrecke von Reichelsheim bis Erbach sagen? Furchtbare Wege, auf welchen der Wagen oft in Trümmer zu gehen schien und wir jeden Augenblick herabzufliegen glaubten, steile Höhen, die wir, um die Pferde zu schonen, zu Fuß im geselligen Vereine erstiegen ...“ Unter der neuen Herrschaft Hessen-Darmstadt wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts Staatsstraßen gebaut, die die Verkehrsverhältnisse im Odenwald wesentlich verbesserten.
Anfang des 19. Jahrhunderts erwachte ein neues Nationalgefühl, durch das die vaterländische Geschichte und in ihr das Mittelalter wiederentdeckt wurden. Die Maler der Romantik, die in Heidelberg und Darmstadt zu Hause waren, entdeckten den Odenwald. Diesen Malern kam der Odenwald mit seiner vielfältigen landschaftlichen Gestalt und der Fülle seiner geschichtlichen Zeugen auf das Schönste entgegen. Hier vereint sich Nähe und Ferne. Von seinen Höhen schweift der Blick weit in die Ebene, über den Rhein bis hin zu den Pfälzer Bergen, zum Taunus und zu den Wäldern des Spessarts. In den kleinen Städtchen und Dörfern mit ihren Kirchen, Fachwerkhäusern und Brunnen begegnete man den Spuren des Mittelalters. Die Burgruinen am Neckar wie an der Bergstraße und im Inneren des Mittelgebirges zeugten von der Herrlichkeit des Rittertums, das in den Sagen noch lebendig war. Damals galten noch die alten Sitten und Bräuche und die Bewohner trugen die schmucken Trachten. Die verschwiegenen Täler, die Wälder und die Höhen boten eine Fülle reizvoller Motive. All dies spiegelt sich in den Bildern von Carl Philipp Fohr, Johann Mainrad Bayer, Josef Hartmann, Heinrich Hofmann, August Lucas, Amelia Mathilda Murray u.a. wider.   Peter Dotterweich