Gerd J. Grein
Das Buch von Hans von der Au
„Odenwälder Tracht“ – eine kritische Betrachtung
Eigentlich habe ich mich so lange ich denken kann mit heimat- und volkskundlichen Themen befasst und später, als ich älter wurde, begann ich Gegenstände zu sammeln, die an die Altvorderen erinnerten. Bereits mit acht Jahren, wenn Alterskameraden auf der Straße herumtobten, habe ich „Museum“ gespielt. Ein leerstehendes Aquarium war meine erste Vitrine. Ich stellte die Familienbibel, zwei gestickte Hosenträger und einen Porzellanpfeifenkopf aus, und mein Vater musste immer Eintritt bezahlen! Das erste eigene Sammlungsstück war die Kaffeetasse der Oma Knöchel. Sie war eine kinderliebe, alte Frau, und ich habe gerne in ihrer Wohnung gespielt. Sie hatte in ihrer Küche auf einem Tellerbord eine Tasse aus Urberacher Keramik stehen, die mit Margeriten-Muster versehen war. Die hatte mir mächtig imponiert, und ich wollte sie unbedingt haben. Nun hatten wir als Kinder eingebläut bekommen: Man darf nicht betteln! Eines Tages habe ich mir ein Herz gefasst und die Oma Knöchel in der kindlichen Sprache gefragt: „Ich tät gern die Tass hawwe.“ Das geht nicht, hatte sie mir jedoch bedeutet. Ich ging „bedröppelt“ nach Hause, aber es hat keine halbe Stunde gedauert, da stand die Oma Knöchel bei uns im Hof, wickelte ihre Küchenschürze auf und hielt die Kaffeetasse in die Höhe: „Da, ich schenk sie dir. Du musst mir awwer verspreche, du darfst nie daraus trinke.“ Das wollte ich auch nicht. Trotzdem hatte es mich interessiert, weshalb ich nicht daraus trinken darf. „Weil ich awends mei Zäh immer drin hatt“, war die Antwort.
Mit zwölf Jahren habe ich dann das Buch von Hans von der Au „Odenwälder Tracht“ bekommen. Es war damals eines der wenigen heimatkundlichen Werke, denn Bücher dieses Inhalts waren nicht gerade üppig. Ich war wie versessen nach dem Buch, und es wurde zum einzigen und beliebten Nachschlagewerk in Sachen Tracht und Trachtenpflege, denn damals war ich schon Mitglied einer Volkstanz- und Trachtengruppe.
Mit sechzehn Jahren verfasste ich meinen ersten Artikel „Die Tracht in der Dreieich.“1 In der Vorrede stellte ich damals fest: „Dabei möchte ich nicht versäumen, Dr. Hans von der Au mit Dank zu gedenken, der in erstaunlicher Gründlichkeit die Tracht des Odenwaldes und somit gleichzeitig die Tracht der Dreieich erforschte.“2 Dieses Lob war damals noch ganz unter dem Eindruck der Ergebnisse der Trachtenforschung von Hans von der Au zu verstehen. Ich war damals natürlich noch nicht kritisch eingestellt, sondern widmete mich den Trachten mit ungebremster Begeisterung. Dies war auch noch so, als ich Jahrzehnte später (1980) ein eigenständiges Bändchen zur Odenwälder Tracht verfasste.3 Drei Jahre zuvor hatte ich mich noch einmal mit der Tracht in der Dreieich beschäftigt.4
Je mehr ich mich jedoch mit dem Werk von Hans von der Au befasste, umso mehr habe ich darin Flüchtigkeitsfehler, falsche Interpretationen und das völlige Fehlen einer Differenzierung zwischen Hinweisen auf „echte“ Trachten sowie Relikte einer Trachtentragepraxis bemerkt, und solchen, die nur zur Schau getragen wurden. Im Laufe der Zeit habe ich dann das Buch mit anderen Augen gesehen.
Darum möchte ich mit meiner Arbeit eine Neubewertung vorlegen, in der Richtigstellungen vorgenommen werden. Dieses geschieht jedoch nicht in hämischer Weise oder gar mit Besserwissertum: Dies würde dem Andenken des verdienstvollen Volkskundlers Hans von der Au nicht gerecht. Er stand damals bei Drucklegung des Buches auf dem Stand der Wissenschaft seiner Zeit. Wir hingegen sind in der Situation, manche Dinge anders zu sehen, zu relativieren und – wenn nötig – zu revidieren. Schließlich hatte Hans von der Au für seine Recherchen nur zehn Jahre Zeit, ich hingegen bin in der Lage, mehr Zeit zu investieren und kann auf eine mittlerweile sechzigjährige Beschäftigung mit dem Thema „Odenwälder Trachten“ zurückzublicken.
So verstehe ich meinerseits die vorliegende Arbeit als eine Art Vermächtnis. Den Leser bitte ich, dies als solches zu verstehen und wünsche viel Freude beim Lesen. Gerd J. Grein

Gerd J. Grein
Das Buch von Hans von der Au
„Odenwälder Tracht“ – eine kritische Betrachtung
Format 21 x 21 cm, 132 Seiten, mit sw und farbigen Abbildungen, Softcover
ISBN 978-3-9817742-6-9m 15,– Euro
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Friedrich Josef Niebel, Odenwälder Gruppe, Farblithografie 1844